Grenzenlose Stadt Saarbrücken

Die Goldene Bremm: Für mich ein Ort der Erinnerung – sowohl an die Gräuel der Nazizeit, wie aber auch an die deutsch-französische Freundschaft. Hier, direkt an der Grenze liegt die Gedenkstätte Neue Bremm. Letztes Jahr haben wir den dritten Bauabschnitt dieses Erinnerungsortes eingeweiht.

Diese Woche jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa zum 75. Mal. Das Ende der Nazi-Barbarei ist für mich eine der Geburtsstunden des neuen Europas. Denn das, was danach passierte – der Verzicht auf Rache, die Versöhnung und die immer stärkere europäische Kooperation – fanden hier ihren Anfang. Seither hat sich viel verändert.

Bis vor wenigen Wochen gab es bei uns de facto keine Grenze mehr – zumindest für mich und meine Generation. Schlagbäume kannte ich eigentlich nur aus Filmen. Beim Spazieren im Stiftswald in St. Arnual weiß ich oft gar nicht, ob ich mich in Deutschland oder Frankreich befinde. Das zeichnet Europa für mich besonders aus: Grenzenlosigkeit.

Umso geschockter war ich, als Klaus Bouillon, unterstützt von Horst Seehofer, auf einmal das Rad zurückgedreht hat und die Grenzen wieder allgegenwärtig waren. Damit traten auch längst vergessen geglaubte Ressentiments wieder auf – unterstützt von Bouillons unerträglichen Aussagen, die für mich nah an Rassismus grenzen. Rassismus von höchster Stelle.

Damit man mich nicht falsch versteht: Gesundheitsschutz hat oberste Priorität und wir haben es hier mit einer nie dagewesenen Situation zu tun. Aber die Risikobewertung des Robert-Koch-Instituts war nun einmal alles andere als zielgenau und angemessen. Die großen Risiken bestanden im Elsass, 200 Kilometer von hier, nicht an unserer Grenze. Die neue französische Region Grand-Est als Ganzes zum Risikogebiet zu erklären war unangemessen. Und gerade von Klaus Bouillon, der sonst immer seine enge Verbundenheit zu Frankreich zur Schau stellt, hätte ich mir da mehr Sachverstand erwartet. Anstatt sich an die Spitze der Bewegung zur Schließung der Grenzen zu setzen, hätte er für offene Grenzen und passgenaue Maßnahmen kämpfen sollen.

Es ist wichtig, dass die Grenzen nun bald wieder geöffnet werden. Auch die Grenzkontrollen müssen zurückgenommen werden. Dafür haben wir uns in den letzten Wochen stark eingesetzt. Jetzt müssen wir das enge Verhältnis zu unseren französischen Freundinnen und Freunden wiederbeleben. Verlorengegangenes Vertrauen muss wiedergewonnen werden. Risse müssen gekittet werden. Das richtige Fundament dazu haben wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten geschaffen – eine lebendige grenzüberschreitende Zusammenarbeit.

Viele sagen, dass nach der Corona-Krise nichts wieder so sein wird, wie vorher. Das möchte ich positiv aufgreifen. Jetzt haben wir die Chance, die Beziehungen zu unseren Nachbarn noch enger zu gestalten. Unsere Vision von einem modernen Saarbrücken ist eine grenzenlose Stadt. Durch Zusammenarbeit können wir nur gewinnen. ÖPNV, Wirtschaftsförderung, Regionalplanung, Kultur und Freizeit, Bildung und Kinderbetreuung. Gute Anfänge und tolle Beispiele gibt es in all diesen Bereichen – jetzt kommt es drauf an, diese weiterzuführen und noch mehr mit Leben zu füllen.

Mirco Bertucci

Mirco Bertucci